Meine Oma mütterlicherseits war Hebamme und obwohl ich sie nie selbst kennengelernt habe, waren die Erzählungen über Anna Stahr in meiner Kindheit immer präsent. Eine gütige, stehts helfende Frau, welche, auch mal resolut gegenüber den Männern, immer für ihre Frauen eingetreten ist.

Es war ein entbehrungsreiches Hebammendasein, welches mit der staatlichen Prüfung zur Hebamme im Jahre 1930 begann. 1940 wurde ihr dann die Niederlassungserlaubnis zur Ausübung ihrer umfassenden Tätigkeit als Hebamme in 5 Gemeinden rund um Eckartsberga (Sachsen Anhalt) erteilt.

Einige erhaltene Geburtenbücher zeugen von der Häufigkeit ihrer Geburtshilfe, von hoher Kinderzahl in vielen Familien, aber auch von Trauer und Leid, wenn die Geburt kein glückliches Ende nahm.

Bei Wind und Wetter, zu jeder Tages und Nachtzeit, teilweise noch mit der Kutsche abgeholt, stand sie der Frau bei der Geburt und den ersten Tagen im Wochenbett zur Seite.

Es ist heute kaum vorstellbar, mit welch einfachen Mitteln die Frauen und ihre Babys damals betreut wurden und doch zeugen alle Aufzeichnungen von Mitmenschlichkeit, Herzlichkeit, Einsatzbereitschaft und gleichzeitig einer hohen Achtung von Seiten der Bevölkerung gegenüber diesem Beruf.

 

Die Hebamme ist ein Beruf im Wandel der Zeit.

 

Ich selbst habe meine Ausbildung im Jahre 1995 abgeschlossen. Im Jahre 1996 erwarben mein Mann und ich einen 3 Seitenhof in Pließkowitz bei Bautzen und 2 Jahre später eröffnete ich dort meine Hebammenpraxis. Schon immer hatte ich den Wunsch meinen Beruf umfassend und eigenverantwortlich auszuüben. Diese Möglichkeit eröffnete sich mir, als ich im Jahre 1999 als 4. Hebamme im Team des ein Jahr zuvor eröffneten Geburtshaus "Storchennest" in Löbau zu arbeiten begann.

Es folgten 15 Jahre  ausserklinische Geburtshilfe und als wollte sich die Geschichte wiederholen stand auch ich nun bei Wind und Wetter, ob Tags oder Nachts meinen Frauen bei ihrer Geburt im  Geburtshaus oder auch bei Hausgeburten zur Seite.

Es waren aufopferungsvolle Jahre.

Sie haben mich gelehrt geduldig zu sein, genau hinzuschauen, mit allen Sinnen den komplexen Vorgang der Geburt zu begreifen, zu trösten, zu motivieren und auch manchmal unliebsame Entscheidungen zu treffen. 

Bei ausnahmslos jeder der über 800 Geburten, bei denen ich zugegen war, bin ich reich beschenkt worden.

 

2010 war dann das Schicksalsjahr für die außerklinische Geburtshilfe in ganz Deutschland.

Der zunehmend rasante Anstieg des Beitrages zur Haftpflichtversicherung ohne adäquate Erhöhung der Vergütung unserer Arbeit , sowie die zunehmende und teils auch bewusste Verunsicherung werdender Eltern, welche sich für eine außerklinische Geburtshilfe interessierten, ließen uns langsam, aber sicher an unsere finanziellen Grenzen kommen. 

Daher musste ich schweren Herzens am 1.7.2014 das Geburtshaus "Storchennest" in Löbau schließen.

 

Heute übe ich meinen Beruf ohne Geburtshilfe in den Räumlichkeiten meiner Praxis und zu den Hausbesuchen der von mir betreuten Familien aus.

Das umfangreiche Wissen und Können, welches ich mir aneignen konnte, gebe ich in den Gesprächen im Rahmen der Hebammensprechstunde, im Geburtsvorbereitungskurs und in der Nachsorge weiter.